Er zeigte auf zwei meiner Kolleginnen und ich verfluchte meinen Dienstplan. Ich hatte mir noch nie so sehr eine Doppelschicht gewünscht, dann hätte ich Mitleid erregen können.
"Nein ich kann pünktlich gehen, sollte nicht noch etwas passieren."
"Ich denke nicht, dass noch was kommt. In letzter Zeit war wirklich wenig los. Zumindest nachts, ich weiß schon fast gar nicht mehr, wie es am Tag ist, ich hatte in letzter Zeit nur Nachtdienst."
"Ja. Das ist blöd."
Oh Gott wie bescheuert. Als ob man mit seinem Chef im Fahrstuhl steht. Kein Wunder, dass er sofort wieder reinging.
Von da an überlegte ich mir jedes Mal vor Dienstbeginn was ich anziehen sollte. Im Prinzip eine völlig überflüssige Überlegung, da ich ja auch einen Kittel trug, aber man konnte ja meistens die Ärmel und den Kragen meines Oberteils sehen und da war es schon wichtig, ob das nun blau oder braun war. Langärmlig oder Rollkragen? Wolle oder nicht. Werde ich heute viel zu tun haben? Werde ich vielleicht schwitzen, werde ich dann nicht doch frieren, werde ich ihn überhaupt sehen?
Meist lief es so ab, dass ich ihn an den Tagen, an denen ich das Gefühl hatte besonders gut auszusehen nicht sah. Mein ganzer Arbeitsalltag richtete sich plötzlich nach ihm. Und ich konnte nichts dagegen tun.
Ich wollte wie früher einfach irgendwas anziehen, irgendwas, da ich ja eh einen Kittel tragen würde. Ich wollte mich auf meine Patienten konzentrieren und nicht darauf von welchem Arzt sie behandelt wurden. Ich hatte ja bereits schon schlechte Laune auf dem Weg zur Arbeit, wenn ich wusste, dass er keinen Dienst hatte. Ich wurde jedesmal eifersüchtig, wenn er sich mit anderen Frauen unterhielt und plötzlich waren liebe Kolleginnen mir nur noch ein Dorn im Auge.
Manchmal unterhielten wir uns gut und lachten auch ab und zu gemeinsam. Das war dann ein guter Tag. Auch wenn alle Patienten gestorben sind und mein ganzer Körper sich so anfühlte, als hätte er sich komplett verformt, es war ein guter Tag.
Eine Zeit lang hoffte ich, dass Chris es sein würde, der mich auf dem Dach der Bibliothek findet. Jeder Mensch sucht nach Liebe. Jeder will geliebt werden und will Liebe geben. Warum legen wir uns dann alle selber Steine in den Weg? Es ist wichtig, dass derjenige gut aussieht, er muss witzig sein, intelligent, nach Möglichkeit bereits fest im Leben stehen, Ziele haben und so weiter. Sicher, das alles ist schon wichtig, aber durch diesen ganzen Anspruchskram …
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