Der beschissene Kabelbinder ließ sich immer noch nicht durchtrennen, voller Ungeduld führte Sam heftigere Auf- und Abwärtsbewegungen durch und schnitt sich schmerzhaft in den Ballen des rechten Daumens. Sie fluchte und war versucht, das Skalpell auf den Boden zu pfeffern. Verzweiflung schlich sich dunkel in ihren Verstand. Sie ermahnte sich erneut zur Ruhe, atmete tief ein und stieß die Luft langsam aus. Sie durfte sich nicht von Verzweiflung überfluten lassen und versagen - versagen, wie sie es bei Jessica getan hatte. Wieder brachte sie die Kabelbinder auf Spannung und führte das Skalpell in kurzen gleichmäßigen Bewegungen rauf und runter. Im gleichmäßigen Klang des leisen Ritschratschs glitten Sams Gedanken wieder in ihre Vergangenheit. Bei dem Gedanken an Jessica schossen ihr heiße Tränen in die Augen. Hätte sie damals geahnt, dass ihre Entscheidung für Mexiko solch tragische Ausmaße annehmen würde, hätte sie Smittis Angebot abgelehnt und sie wäre heute nicht in dieser beschissenen Situation und ... und Jessica würde noch leben. Die Bilder aus ihrer Vergangenheit standen gestochen scharf vor ihrem inneren Auge. Sie war damals 23 Jahre jung.
Kapitel 2
Ihre Ankunft in Mexiko, in der schäbigen Gartenlaube. Doch diese Gartenlaube repräsentierte ihr erstes richtiges Zuhause. Sie hatte mit Jessica die Bude so sauber geschrubbt, dass man vom Fußboden essen konnte. Sie waren wie junge Hunde durch ihre eigenen 20 qm getollt und erschöpft lachend auf die durchgelegene Matratze des Doppelbettes gefallen. Die rostigen Scharniere hatten kreischend protestiert und Jessica hatte immer behauptet, diese Antiquität würde ihnen irgendwann unter dem Hintern zusammenbrechen.
Doch die Kleine sollte sich irren, dieses verdammte Bett hielt in einer ganz bestimmten Nacht unsagbaren Belastungen Stand. Und am Ende war ihre Zuflucht entweiht und der Boden blutgetränkt.
Sie erinnerte sich, als ob es gestern gewesen wäre. Sie kam gut gelaunt aus Jos Lokal mit zwei Hotdogs und einer Flasche Coke unter dem Arm, als sie von Weitem sah, dass die Tür ihrer Laube offen stand.
Sam fühlte den warmen Wind dieser Nacht auf ihrer Haut, sie roch den Essengeruch, der durch den Außenlüfter von Jos Lokals zu ihr herüberwehte und wie sich damals die blonden Härchen ihrer Unterarme warnend aufstellten.
Jessica hielt die Türe immer verschlossen, wenn sie alleine war. Sam hatte ihr das vehement eingeschärft ...
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.