… hatte sie es erreicht. Sie rüttelte mit den Händen an den Stäben und rief hinter den beiden Männern her: „Was haben Sie mit mir vor?“ Der Hagere wandte sich zuerst um, aber sein Begleiter kam ihm mit der Antwort zuvor. „Das wirst du früh genug erfahren.“ Seine Stimme klang tief und verraucht und während er sprach, drehte er sich zu Lena um. Sie ließ die Gitterstäbe los und wich unwillkürlich einen Schritt zurück, denn sie hatte noch nie einen so abstoßenden Menschen gesehen. Der Mann war sehr groß, der ganzer Körper muskelbepackt. Aber im Gegensatz zu seinen kurzen Beinen, hatte er überdimensional lange Arme, was ihm die Statur eines Affen verlieh. Dazu das Gesicht, das durch eine tiefe Narbe verunstaltet war. Die Narbe begann am Kinn und lief über eine leere Augenhöhle bis zur Mitte des quadratischen Schädels. Die dunklen stoppeligen Haare hatten sich rund um die Narbe weiß verfärbt. Mit seinem intakten Auge zwinkerte er Lena zu und als er ihren erschrockenen Gesichtsausdruck sah, begann er dröhnend zu lachen. Dann drehte er ihr seinen Stiernacken zu und stapfte gemeinsam mit dem Wieselgesichtigen davon. Sie blieb noch einen Augenblick lang mit angehaltenem Atem stehen, dann ging sie zu der Tür, die ihr das Wiesel gezeigt hatte. Als Lena sie öffnete, fand sie ein Badezimmer mit allem Komfort. Sogar Toilettenartikel waren vorhanden. Sie schloß die Türe wieder und ging zurück zu ihrer Pritsche. Wenigstens war sie nicht mehr gefesselt. Man mußte die Stricke während ihrer langen Ohnmacht abgenommen haben. Seufzend ließ sich Lena niedersinken, denn dieses Badezimmer hatte ihr wieder klargemacht, daß sie sich auf einer langen Reise ins Ungewisse befand. Ihre Gedanken kehrten zurück in die Heimat und sie fragte sich, was wohl ihre Oma und Kai jetzt denken und tun würden. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und ein verzweifeltes Schluchzen stieg ihr in die Kehle, während die Tränen durch ihre Finger quollen.
Die Suche
Die zwei Personen, an die Lena in ihrer einsamen Gefangenschaft gedacht hatte, saßen zu eben dieser Stunde in dem gemütlichen Wohnzimmer von Frau Schmidts kleinem Haus und warteten auf Nachricht von der Polizei. Es ging schon auf den Morgen zu, aber Kai wollte Lenas Oma nicht mit ihrem Kummer alleine lassen. Bis weit nach Mitternacht hatte ihnen ein finster dreinblickender Polizist gegenüber gesessen, der sich immer wieder Notizen in ein kleines Buch schrieb, während …
◄ zurück blättern Beurteilen Sie den Text bitte fair.
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.
1025 Leser seit 1. Jan. 2024 für diesen Abschnitt
Noch kein Kommentar zu dieser Seite.
Sei der Erste!