… Sie versuchte, sich soweit es ging zu entspannen, um dem Ding geringen Widerstand zu bieten. Sie schob es langsam nach oben, durch die glatte Oberfläche funktionierte es erstaunlich gut. Als ihr Mittelfinger das Ende des Röhrchens nicht mehr ertasten konnte, sah sie den Kugelschreiber auf dem Kofferraum zweifelnd an. Wie weit konnte man so ein Ding in sich reinschieben, ohne sich selber zu verletzen? Pragmatisch wie sie war, dachte Sam „Wenn’s anfängt weh zu tun, hörst du einfach auf.“ Mit einer Hand hielt sie die Schnur des Röhrchens fest. Die Vorstellung, den Rückwärtsgang nicht einlegen zu können und im Knast das Ding in sich zu tragen, war kein besonders tröstlicher Gedanke. Mit der anderen Hand schob sie den Kugelschreiber in sich und manövrierte das Silberding Zentimeter für Zentimeter vorsichtig weiter in ihren Körper hinein. Als sie nur noch 3 cm der Schnur ertasten konnte, hörte Sam auf. Na ja, zumindest hatte es nicht weh getan. Sie zog sich an und warf den Kugelschreiber weg. Den konnte sie wohl kaum Miguel wieder aushändigen. Sam setzte sich auf den Beifahrersitz des Polizeiwagens und stieß zwischen zusammengepressten Zähnen „Fahr los“ hervor. Miguel setzte seine Fahrt schweigend fort. Nach ca. zwei Stunden erreichten sie ihr Ziel. Sam verrenkte sich den Hals, um durch das Seitenfenster des Wagens so viel wie möglich von ihrem neuen „Zuhause“ zu sehen. Düster ragte das sandfarbene Gebäude vor Sam auf. Von der Bauweise her erinnerte es sie an eine riesige, uneinnehmbare Festung. Zahlreiche, winzige Fenster waren in den Stein gehauen worden. Jedes war mit Gitterstäben versehen. Die Anlage bildete mit dem Hauptgebäude und zwei Nebengebäuden drei Seiten eines Vierecks. Sam saß mittlerweile wieder vorschriftsmäßig, mit angelegten Handschellen, auf dem Rücksitz. Die Sonne hatte sich hinter dicke Wolken zurückgezogen. Selbst hinter den Scheiben von Miguels Polizeiauto glaubte Sam den nahenden Regen fast schmecken zu können. Miguel hatte kurz vor ihrer Ankunft eine Zigarettenpause eingelegt und Sam für die Aufnahme im Gefängnis vorbereitet. Er hatte ihr eingeschärft, keinen Blickkontakt zu den anderen Gefangenen und auch nicht zum Wachpersonal herzustellen. Fragen sollte sie knapp und so präzise wie möglich beantworten. Beleidigungen und Anzüglichkeiten ignorieren. Sollte sie mit Aggressivität konfrontiert werden, den ersten Schlag ausführen. In den Sammelduschen immer mit dem Rücken zur Wand stehen, sich im Speisesaal nie in die Mitte, immer an die äußeren Tische am Rand orientieren und so weiter und so weiter. …

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