Am Tag unseres Umzugs begannen für die bayerischen Schüler die Sommerferien und so habe ich noch einmal sechs Wochen frei. Meine Schwester und ich langweilen uns schrecklich. Weil wir noch niemanden kennen vertreiben wir uns meist miteinander die Zeit, mit Bocksprüngen über die Gartenhecke und Fernsehen. Oben unter dem Dach steht unser Klavier. Fast täglich setze ich mich nun hin und übe stundenlang. Ich spiele alles was mir in die Finger kommt. Mein eigener Klavierunterricht liegt viele Jahre zurück aber ich bin erstaunlich fit. Was bisher nur ein netter Zeitvertreib war wird zur Passion, ja ich kann eigentlich gar nicht mehr mit dem Spiel aufhören. Bald kaufe ich mir neue Noten und zu Weihnachten wünsche ich mir die gesammelten Klaviersonaten von Beethoven als Noten und auf Schallplatte.
Eines Tages fährt Mutter mit uns zu unseren neuen Schulen. Meine Schwester hat`s nicht weit. Sie kann zu Fuß gehen. Meine Schule liegt in der Innenstadt. Ein alter Kasten der mich an meine ehemalige Schule erinnert. Die Direktorin begrüßt uns mit strengem Blick. Es sei eine Gnade als Auswärtige einfach so in diese Schule aufgenommen zu werden. Man achte schließlich auf Qualität und meine Zeugnisse seien ein Beweis dafür, dass an meiner Ernsthaftigkeit und an meinem Willen einen guten Schulabschluss zu machen Zweifel angebracht seien. Man beschäftige sich nicht gerne mit offensichtlichen Verlierern.
Mutter fährt mich unterTränen wieder nach Hause. Sie würde am liebsten Vater verlassen und mit uns Kindern zu ihren Eltern nach Norddeutschland zurückgehen, beteuert sie pausenlos. Mit dieser kalten Art der Leute könne sie nicht leben. Ich sitze stumm daneben und ziehe mich ganz tief in mich zurück.
Ich schreibe sehnsüchtige Briefe an Renate aber ich glaube, sie versteht nichts. Wie kann sie auch. Das hier muss man am eigenen Leib erfahren weil es unvorstellbar ist. Manchmal lache ich bitter über mich selber. So, den Niederrhein verlassen und sich den Wind um die Nase wehen lassen? Schöner Wind. Das ist der von der eisigen Sorte, den hätte ich mir freiwillig nie ausgesucht.
Am ersten Schultag finde ich mich auf dem Hinweg in die Stadt einigermaßen zurecht. Mutter hatte mir eingebläut meinen Klassenlehrer nach dem Unterricht höflich nach dem aktuellen Wissensstand zu fragen. Mit diesem Auftrag im Kopf betrete ich die neue Lehranstalt und finde mich bald in meiner Klasse ein. Sie befindet sich oben unter ...
Ihre echte Einschätzung hilft dem Autor seine Texte zu verbessern.
319 Leser seit 1. Jan. 2024 für diesen Abschnitt