… Seine ernsten Augen erreichte es nicht. Die nachdenklichen Züge, trotz seiner Jugend von tiefen Falten durchzogen, wirkten unzufrieden. Er war erst heute von einem Feldzug gegen die Hethiter zurückgekehrt. Die königliche Gemahlin, Nofretete, begleitete den Triumphzug nicht, da sie Gewalt strikt ablehnte und Amenophis selbst war nur widerwillig mit seinem Heer in diesen Krieg gezogen. Da aber eine seiner Nebenfrauen eine Mitanni-Prinzessin war, hatte er den Hilferuf ihres Vaters nicht mißachten können. Die Hethiter hatten die Grenzen des mitannischen Reiches angegriffen und Amenophis war gezwungen gewesen, sie zurückzutreiben und seinen Verbündeten zu helfen. Es war sein erstes Regierungsjahr und er durfte die Erwartungen des Volkes nicht gleich am Anfang seiner Herrschaft enttäuschen. Auch wenn es sich nur um ein kleineres Grenzscharmützel gehandelt hatte, jubelten ihm die Bürger Thebens begeistert zu. Amenophis aber schwor sich, daß dies sein erster und letzter Feldzug gewesen sein sollte. Er warf einen Blick auf Haremhab und gedachte in Zukunft dem geschickten Kämpfer und Strategen dieses Handwerk zu überlassen. Haremhab, der Oberbefehlshaber seines erfolgreichen Heeres, ritt in schimmerndem Brustharnisch und mit poliertem Lederhelm, die Arme mit breiten Kupfer- und Perlenarmbändern geschmückt, vor der Schar der Leibwächter und das Volk schien insgeheim mehr ihm, als dem stillen Pharao zu applaudieren. Inzwischen hatte die Prozession die breite Promenadenstraße entlang des Nils erreicht und war in diese eingebogen. Amenophis wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die ganze Zurschaustellung seiner Macht mit einem Mal ins Stocken geriet. Die Tempeltänzerinnen rannten in die Priesterhinein, die nicht weiterkamen, da eine Gruppe von Leuten die Straße blockierte. Alle machten neugierig lange Hälse in alle Richtungen und selbst Amenophis IV richtete sich – gar nicht königlich – in seinem Sitz auf um zu sehen, was immer es zu sehen gab. Überrascht stellte er fest, daß die Neugierigen gar nicht in Richtung der Prozession blickten, sondern aus lauter Sensationsgier diese kaum bemerkt hatten. Haremhab und die Leibgarde hatten sich, sobald der Pulk durcheinandergeriet, in Erwartung eventueller Gefahr um den Thron gruppiert. Als Haremhab den Grund der Verzögerung sah, verzog er unwirsch das Gesicht. Auch Amenophis wurde nun klar, was die Leute so ablenkte, daß sie selbst den Anmarsch Pharaos nebst sämtlicher Nebenerscheinungen übersehen hatten. …

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