… Natürlich war es kein Ritual, aber Sylvia empfand es so. Sie stieg auf ihr Podest, kniete sich auf den Teppich und legte den Kopf zwischen die Knie. Genau wie Mira es ihr gezeigt hatte. Nur diesmal gab es einen Unterschied. Sylvia erinnerte sich noch, als sie damals ihr Podest bestiegen hatte, wie der Metallring an dem Gestell geschaukelt hatte. Heute spürte Sylvia die kalten Schellen an den Fußgelenken, welche ihr die Fesseln wund scheuerten und der große Metallring lag um ihren Hals. Die Kettenglieder rasselten bei jeder Bewegung höhnisch.
Doch Miras Nische fehlte. Ging sie ihr aus dem Weg? Oder achteten die Wachen nur sorgsam darauf, dass sie sich nicht begegneten. Sie sah Mira von nun jeden Tag auf der anderen Seite des Saals. Der Wunsch mit irgendjemandem zu sprechen wurde von Tag zu Tag größer.
Gott sei Dank hatten die ihr die Handschellen wieder abgenommen, welche ihre Handgelenke in den ersten Tagen nach diesem dämlichen Fluchtversuch erbarmungslos auf dem Rücken zusammengekettet hatten. Beinahe automatisch rieb sie ihre Handgelenke. Die Spuren waren noch immer sichtbar.
Wenigstens konnte sie zum Trinken jetzt wieder ihre eigenen Hände benutzen und musste den Kopf nicht mehr in diese dumme Schüssel tunken, wo ihre Haare in der Brühe schwammen. Jedes Mal hatte sie sich ängstlich umgesehen, ehe sie wie ein Tier ihre Mahlzeit begann. Dieses Gefühl, dass alle sie beobachteten, dass alle über sie lachten, war das Schlimmste. Natürlich äußerte sich niemand laut, aber sie lachten innerlich, das wusste Sylvia. Ganz besonders die kleine, hinterhältige Stimme in ihrem Kopf wusste das. Sie alle lachten über sie!
In den ersten Tagen hatte Sylvia geglaubt, den Verstand zu verlieren. Doch mit der Zeit ... Sie musste zugeben, dass es ihr noch immer nicht viel besser ging. Wenigstens konnte sie wieder ihre Hände benutzen!
Jeden Tag sah sie zu Mira hinüber. Auch heute kniete sie wieder und setzte sich, den Kopf zwischen den Knien gebettet. Wann würden sie endlich mit ihr Reden können? Dann hatte Sylvia den Versuch gestartet mit Blicken zu kommunizieren und seitdem kreuzten sich ihre Blicke regelmäßig. Oft lächelte Mira herüber oder zog Grimassen, wenn komische Interessenten sie inspizierten.
In den letzten Wochen kamen viele potenzielle Käufer an ihren Nischen vorbei. Es nervte Sylvia jedes Mal aufs Neue, wenn sie mit ansehen musste, wie Mira sich präsentierte. Als könne sie nicht schnell genug von hier verschwinden. …
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