… Am Anfang fand sie das absurd. Über die Wochen hatte Sylvia viel Zeit darüber nachzudenken. Ihr Fluchtversuch hatte sie nicht von hier fortgebracht. Vielleicht war Miras Weg tatsächlich effektiver?
Auch sie wurde von vielen neugierigen Blicken gestreift. Doch die wenigsten traten näher. Die Ketten, welche man Sylvia angelegt hatte, wirkten mehr als abschreckend. Mit ihren Schrammen und Flecken wurde sie in den Augen der meisten Kunden zu einem wilden Tier, dass sich nur schwer bändigen ließ und damit uninteressant. Die wenigen, die sie dennoch begutachteten, wurden spätestens von ihrer schroffen Art oder der fehlenden Sprachkenntnis abgeschreckt. An das neugierige Betasten durch fremde Hände und die prüfenden Blicke der Kunden konnte sie sich einfach nicht gewöhnen.
Wie lange mochte Mira hier schon herumsitzen, um sich so zu präsentieren. Am Anfang sah sie Mira wie eine kleine Hure, die fast alles mit sich anstellen ließ, nur um endlich einen zahlungswilligen Interessenten zu finden. Sylvia schrak noch immer vor dem Wort Käufer zurück. Gerade jetzt wurde Mira wieder begutachtet, betastet, befragt. Voller Abscheu senkte Sylvia ihren Blick.
Sie erinnerte sich, wie sie mit Mira am ersten Tag über das Thema gestritten hatte. Sie war Ware, nichts weiter. Obwohl Mira ihr mehr als nur einmal zu erklären versuchte, dass sie einfach nur ihre Schuld abarbeiten würde, dass sie sich freiwillig für diesen Weg entschieden habe und dass es die günstigste Variante war, halbwegs unbeschadet aus einem Schlamassel herauszukommen. Kein Akteneintrag, keine Vorstrafe, kein Gefängnis, einfach eine abgegoltene Schuld.
Sylvia stellte sich vor, wie sie … Nein. Konnte sie eigentlich mitentscheiden, welcher Interessent sie kaufen durfte? Solche Fragen strapazierten ihr Selbstbild. Aber einen gewissen Einfluss hatten sie auf jeden Fall. Mindestens indirekt. Niemand wollte ein zähnefletschendes Biest wie sie selbst.
Die Kundschaft betrachtete Mira von allen Seiten. Eigentlich bestand die Kundschaft aus einem hochgeschossenen, hageren Mann, dessen Vollbart kaum noch etwas von seinem Gesicht übrigließ. Einer Frau, ebenfalls in mittleren Jahren, etwas untersetzt und mollig. Das strähnige Haar fiel ihr lang über den Rücken. Wenn sich Sylvia nicht völlig täuschte, schien die Frau schwanger. Es war noch nicht unübersehbar, aber immerhin schon etwas zu erahnen. Um die zwei herum tollte ein kleiner Junge, der an Mira bei weiten nicht so viel Interesse zeigte wie seine Eltern. …
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