Theben
Die Reise nach Theben ging zügig vonstatten. Man reiste mit der Strömung und durch die steigenden Fluten bedingt konnten die Kapitäne ihre Fahrt teilweise auch bei Nacht fortsetzen, da sie keine Untiefen zu befürchten hatten. So kam es, dass der königliche Troß bereits am frühen Abend des zweiten Tages die Ausläufer der Stadt der hundert Tore erreichte. Trotzdem er eigentlich auf andere Dinge achten hätte sollen, konnte Sunu seine Blicke nicht von dem faszinierenden Anblick abwenden. Wie mit Gold übergossen lag sie vor ihm im Abendlicht, die Stadt Theben. Die Tempel und Paläste, die sich über der Stadtmauer mit ihren unzähligen Toren erhoben, schienen nahezu unwirklich unter den diffus schimmernden neblig-rötlichen Sonnenstrahlen, die sich zwischen langgezogenen hellen Wolkenstreifen Bahn brachen. Dazwischen stachen immer wieder, wie silberne Blitze, die mit Elektrum überzogenen Obelisken in den Himmel. Endlich wandte Sunu, abgelenkt durch ein Steuermanöver des Schiffes, seine Aufmerksamkeit wieder seinen Pflichten zu. Sein erster suchender Blick galt den Unterkünften der Königin. In diesem Moment wurde der zarte bunte Vorhang am Eingang zur Seite gezogen und Hatschepsut erschien prächtig gekleidet in Begleitung ihrer beiden Nubier und etlicher Dienerinnen, um sich dem Volk von Theben zu zeigen, das inzwischen in drängelnden Massen die Ufermauern belagerte. Laute Jubelrufe begrüßten die Rückkehr der Herrin beider Länder. Sunu trat sich verneigend von seinem Platz am Bug des Schiffes zur Seite, um der Herrscherin den etwas erhöhten Standpunkt zu überlassen. Sie neigte leicht den Kopf in seine Richtung und stieg die eine Stufe hinauf um sich dann, wie Sunu beunruhigt feststellte, ihrem spontanen Naturell gemäß gefährlich weit über die Rehling zu lehnen und ihrem Volk majestätisch zuzunicken. Das Begeisterungsgeschrei der Menge schwoll zu einer schier unerträglichen Lautstärke an. Sunu war in Habacht-Stellung, damit er jederzeit hinzuspringen und die Königin vor einem Sturz bewahren konnte, aber es geschah nichts. Das Schiff bog in den befestigten Hafen des Palastes ein, der von einem riesigen Hof aus direkt zu den Gärten, Villen und dem exotischen Park des königlichen Palastgeländes überging. Das gesamte riesige Areal war von schützenden Mauern mit Wachtürmen umgeben, soweit Sunu das eben überblicken konnte. Um die Gesamtheit des Geländes zu erkunden würde er sicherlich Tage brauchen, schoß es ihm durch den Kopf. …
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